Wir sitzen in Arequipa im Kaffee. Zufällig belauschen wir zwei Einheimische. Die einzigen Worte, die zu uns durchdringen sind "Oro" (Gold) und "Llahuar". Ein scharfer Blick zwischen Nadège und mir genügt. "Das ist unsere Chance!" Wir machen uns auf den Weg zum geheimnisvollen Llahuar, auf den Weg zum Gold!
Goldsuche, Tag eins:
Wir haben herausgefunden, dass Llahuar ein winzig kleiner Ort am Ende der Zivilisation, tief im Colca-Canyon ist. Dort müssen wir hin. Um neun Uhr beginnt die Busfahrt im Terminal von Arequipa. Der Bus sieht abenteuerlich aus: Dreckig, dicke Outdoorreifen, geeignet damit einen westfälischen Acker umzuflügen. "Andalucia" heißt das Busunternehmen. Den Großteil des Gepäcks verstauen wir im Home sweet home, mit leichtem Gepäck reist es sich besser.
Aus Arequipa hinaus fahren wir auf einer gut befahrbaren Straße. Ordentlicher Asphalt, keine Löcher, es geht zügig vorwärts. Ich falle schon in einen leichten Schlummer. Wache plötzlich auf, der Zustand der Straße hat sich drastisch geändert. Das ist nicht Asphalt mit Löchern, das ist ein großes Loch mit etwas Asphalt zwischendurch. Der Bus wird ordentlich durchgerüttelt, jetzt verstehe ich den jeepartigen Charakter des Fahrzeugs. Durch eine faszinierende Landschaft. Karg aber einzigartig. Graues, grünes, orangenes, hell- und dunkelbeiges Sandgestein, hier und dort mal ein Strauch oder sogar verkrüppelter Baum. Der Busfahrer scheint den Weg zu kennen, Bleifuß!
In Chivay ist die erste Zwischenstation. Wir steigen aus. Der Plan ist, den nächsten Bus circa eineinhalb Stunden später nach Cabanaconde zu nehmen. Zeit genug, etwas zu essen. Wir finden ein Lokal, wo wir ein komplettes Menü, Suppe, Reis und Cui (gebratenes Meerschweinchen) für zwei Soles fünfzig finden. Schmeckt wild, ist aber lecker!
Der Bus rumpelt und holpert weiter mit Highspeed am Rande des Canyon entlang. Aus dem linken Fenster geht es steil nach oben, rechts geht es steil hinunter, in beide Richtungen geschätzte achthundert Meter, der Bus ballert die staubige Straße entlang, am besten einfach die Augen schließen und die Absturzgefahr ignorieren. Plötzlich hält er, Motor aus. Der Fahrer kriecht unter den Bus und hämmert Metall auf Metall. Was ist los? Keine Ahnung! In Schrittgeschwindigkeit geht es weiter bis ins nächste Dorf. Auf dem kleinen Plaza de Armas kriechen mehrere Männer unter den Bus und fangen an zu klappern, hämmern und schrauben. Die französischsprachige Gruppe hat sich um zwei Belgier und einige Canadier vergrößert. Wir trinken Bier um die Zeit zu überbrücken. Es stellt sich heraus, dass der Schaden irreparabel ist. Wir müssen auf den nächsten Bus warten. Einige Peruaner fahren mit Combis, wir Touristen haben Zeit und warten mit weiteren kalten Getränken, Pipimachen mit Wahnsinnsausblick inklusive.
Der Bus kommt, wir steigen zu. Natürlich sind zwei Busladungen zu viele Leute für einen Bus, wir stehen dicht gedrängt im Gang. Die Franzosengruppe ist auf zehn Personen angewachsen.
Plaza de Armas in Cabanaconde. Einheimische wollen uns in ihre Hostals locken, ein Franzose mit buschigem Bart und reinem Französisch muss nicht viel Wirbel machen: "Wollt ihr im Maison des Francais übernachten?" Keine Frage! Wir folgen Mathieu wie die Schafe, kommen uns vor wie auf Klassenfahrt.
Das "Valle del Fuego", Untertitel "Maison des Francais" wird von Einheimischen betrieben, der gebürtige Franzose Mathieu ist aber schon seit Jahren in Cabanaconde und sozusagen der Manager vor Ort. Unglaublich aber wahr: Lieben Franzosen doch normalerweise "ihr" Land über alles, und haben es auch garnicht nötig woanders hin zu reisen, scheint es ihnen dieses Dörfchen am Ende der Welt jedoch angetan zu haben. Franzosen überall, ich muss mich sprachlich schon wieder umstellen (von Englisch in Pisco auf Spanisch in Nasca zu Französisch in Cabanaconde), und die französische Flagge steht im Zentrum des Lokals. Zwei anheimelnd einheizende offene Kaminöfen im Lokal geben ihm seinen Namen: Valle del Fuego, Tal des Feuers. Das Menü, Suppe und Hauptgericht ist richtig lecker, mit zwölf Soles aber auch nicht ganz günstig. Dafür kostet die Übernachtung im Zimmer mit Bad und 24/7 heißes Wasser nur zehn Soles. Gemacht! Von Gold war allerdings bisher nicht die Rede...
Goldsuche, Tag zwei:
Benoit und Kassou haben am Morgen zwei nette Französinnen kennen gelernt. Kein Interesse mehr am Gold. Sie entscheiden sich für den kurzen Track hinunter zur Oase. Nadège und ich wandern nach Llahuar, dem Gold entgegen, unsere Wege trennen sich hier.
Der Weg ist hart, staubig und steinig. Aber wir sind gierig und glücklicherweise ahnungslos. Also geht es mit leichtem Gepäck locker, schwungvoll den Berg hinunter, hinein in den Canyon...
Der Weg zieht sich. Die Sonne brennt, es ist brüllend heiß, der Rücken durchnässt, der Rucksack klebt am T-shirt und beides zusammen am Rücken fest. Langsam tasten wir uns Schritt für Schritt den Trampelpfad hinab, abwärts ist zwar nicht so anstrengend, aber unangenehmer für die Beine. Hinter uns hören wir Hufgetrappel. Ein etwa sechszig jähriger Peruaner treibt zwei bepackte Esel vor sich her den Berg hinunter. Den Weg, den wir uns langsam erkämpfen, vorsichtig Fuß vor Fuß setzend scheint er hinunter zu springen. Ich bin neidisch. Den setzte ich mal in Westfalen auf´s Fahrrad, mal sehen, wer dann die bessere Figur macht...
Endlich sind wir im Tal. Über die wackelige Hängebrücke über den Fluss, an einigen Stellen dampft das Wasser, aufgeheizt durch vulkanische, unterirdische Hitze. Glitzert da Gold durch?
Llahuar besteht nur aus wenigen Hütten. Für die absolut liebenswürdige Señora, die die Herberge betreibt, kocht und die Betten ordnet, und die Unterkünften für die Gäste aufbereitet, sind wir willkommene Gäste. Wir treffen auf eine Gruppe Norweger, eine organisierte Reisetruppe mit Guide. Zwei Wochen Peru inklusive Wanderungen am Titicacasee, Machupicchu und dem Colca-Canyon. Jetzt noch hier, Mittwoch wieder in Oslo. Wir sind froh, etwas mehr Zeit zu haben. Die Norweger gehen angeln, am Abend soll es Fisch geben. Wir nehmen eine Premiero-Hütte, ein privates Bett für uns zwei, kein dormitory, fünfzehn Soles pro Nacht und Person. Das Ambiente ist wundervoll. Kein Strom, aber fließendes Wasser, aus dem Fluss abgeleitet, das ist des Trekkers Paradies!
Und das Beste? Unten, direkt am Wasser gibt es zwei gekachelte Schwimmbäder, in die ständig frisches, warmes Wasser, aufgeheizt durch die Vulkanhitze im Inneren des Berges, fließt. Abends um kurz vor acht nehme ich ein Bad. Die Luft ist kühl, die Sterne stehen am Himmel, der Mond strahlt sein silbernes Licht in den Canyon, Grillen zirpen und der Fluss rauscht im Hintergrund. Und ich liege nackig im pudelwarmen Wasser und genieße einfach das Leben. WOW! Gold? Vergessen!
Zu Abendessen gibt es tatsächlich Fisch aus dem Fluss. Die Norweger haben einige gefangen, das sollte man meinen, dass die das können, aber noch besser waren die Peruaner. Sehr lecker! Nadège mag ihren nicht, ich freue mich und werde satt! Satt und sauber schlafen wir wie im Himmel.
Goldsuche, Tag 3:
Ich habe Nadège so von dem Thermalbad vorgeschwärmt, dass sie auch auf den Geschmack gekommen ist. Außerdem wollen wir uns einen Tag von dem anstrengenden Abstieg erholen, nein, wir wollen Gold suchen, und entscheiden uns also, noch einen Tag zu bleiben. Die Señora scheint uns irgendwie mehr zu mögen, als norwegische Reisetruppen, sie ist die gemütliche Oma, die sich einfach um uns kümmert. Frühstück um neun, Mittag um eins, Abendessen um acht. Nach dem Frühstück sind wir ganz alleine, alle anderen Trekker haben sich schon um fünf Uhr auf den Weg gemacht, um der Hitze zu entgehen. Nein, so eilig haben wir es nicht! Also genießen wir das Bad, jetzt zu zweit. Auch bei Sonnenschein ganz herrlich!
Am Nachmittag unternehme ich alleine einen kleinen Ausflug weiter den Weg entlang, über Llahuar hinaus. Der Weg wird noch schwieriger, trotzdem liegen Eselköttel auf den Steinen. Wie schaffen diese Tiere diese holprigen Wege, wenn ich schon richtig klettern muss? Sie kennen es wohl nicht anders! Plötzlich raschelt es neben mir im Gebüsch. Ich erstarre und blicke nach links. Dort steht ein Fuchs, einen knappen Meter neben mir und ist ebenso erstaunt. Dann spitzt er die Ohren und ist flugs verschwunden. Viel zu schnell für mich, dass ich die Kamera zücken könnte. Zehn Minuten später begenen wir uns nochmal, er war wohl neugierig und hat mich ein paar Meter unauffällig begleitet.
Später lerne ich, dass Fuchs und Condor Freunde sind. Condore gibt es im Canyon reichlich, das Wappentier der Canyonbewohner schlechthin. Der Fuchs macht Beute, und wenn er sich vollgefressen hat, kommt der Condor und holt sich den Rest. Oder umgekehrt! Die beiden mögen sich.
Der Tag endet wieder ohne Gold, dafür aber mit einem wunderbaren Abendessen, es gibt wieder Fisch. Und nach dem Abendessen ist der heiße Pool abermals unser, diesmal traut sich auch Nadège nackig... ist das herrlich!
Goldsuche, Tag vier:
Jetzt kommen wir nicht mehr drum herum. Die Goldsuche war nicht sehr erfolgreich, nun, so sehr haben wir uns auch um das Gold nicht bemüht. Wir müssen uns an den Aufstieg machen. Wir haben aber keine Lust, morgens um fünf Uhr aufzustehen, heiß wird es eh. Also ganz gemächlich! Aber der Weg ist hart, und es gilt eintausend Höhenmeter zu überwinden, es geht nur und konstant nach oben! Wir haben einen Stock für Nadège gefunden, der beim Aufstieg hilft. Zwei Flaschen Wasser, das sind vier Liter, die braucht man auch.
Die ersten drei Stunden sind vergangen. Wir sind schon mächtig geschwächt, der Aufstieg zehrt am ganzen Körper. Andere Wanderer, die uns begegnen wundern sich, warum wir den Aufstieg in der Hitze des Tages unternehmen. Nicht wundern, wandern! Fuß für Fuß, Schritt für Schritt, Stein für Stein, Meter für Meter...
Ungefähr auf halber Höhe habe ich die Kamera im Anschlag, weil ich Bilder von dem Weg machen möchte, den wir schon zurück gelegt haben. Und in dem Moment belohnt uns der heilige Inka für unsere Wandermühe. Ein Schatten kreuzt meinen Weg, ich blicke nach oben, und was...? Mein Blick fällt auf das langersehnte Ziel: Ein Condor hat seine mächtigen Schwingen direkt über uns aufgespannt. Majestätisch zieht er seine Kreise, ich nehme den Finger kaum noch vom Abzug der Kamera. Wahnsinn, diese Riesenvögel, Spannweite drei Meter fünfzig, danke großer Inka!
Nach einigen Runden landet der Condor auf einem Felsvorsprung, und lässt mich warten. Noch eine kleine Extrarunde für den Herrn Fotografen, aber dann ist Siesta angesagt. Und wir müssen weiter.
Nach fünf Stunden quälender Kraxelei den Berg hinauf sehen wir zum ersten mal über den Berggipfel hinweg den Rand von Cabanaconde. Nach eintausend Metern Höhenunterschied, Cabanaconde liegt auf dreitausendzweihundert Metern, ist die Luft ziemlich dünn, jeder Schritt zehrt am Körper, alle zehn Meter ist eine Pause angesagt.
Endlich geschafft! Nach gut sechs Stunden Bergaufwanderung sind wir im Valle del Fuego gelandet. Hier gönnen wir uns erstmal ein kühles, frisches Radler! Am Abend können wir die gleichen Zimmer beziehen, wie zwei Tage zuvor, Zimmer Nr. 2, zwei Betten, ein schönes Bad mit 24/7 warmes Wasser für zehn Soles. Nur die Abermilliarden von Fliegen im Bad stören ein wenig.
Goldsuche, Tag fünf:
Aufstehen, Palta (Avocados), Tomaten und Zwiebeln auf Brot zum Frühstück. Dann nochmal runter zum Mirador, zum Ausguckspunkt, an dem ich schon am ersten Morgen Bilder gemacht habe. Wir genießen ein letztes Mal den atemberaubenden Ausblick.
Um zwei Uhr wollen wir den Bus nach Chivay und dann nach Arequipa nehmen. Wir steigen ein, bemerken aber, dass der Bus schon um halb zwei recht voll ist. "Habt ihr Tickets?" "Nein!" "Tja, dann könnt ihr auch nicht mitfahren!" Nicht unfreundlich werden wir wieder des Busses verwiesen, "kauft Euch erst Tickets!" Gesagt getan, also findet die Heimreise erst am nächsten Tag statt. Und schon sind wir wieder im Valle del Fuego, und schon sind wir wieder in Zimmer Nr. 2, nun schon in der dritten Nacht.
Am Abend, es ist der 31. Oktober, werden wir von Mathieu zu dessen dreizigstem Geburtstag eingeladen. Es gibt kräftigen Fruchtpunch und französische Crèpes. Der Punsch ist bald leer, dann wird mit Vodka weiter gemacht. Plötzlich kann ich auch ganz gut Spanisch sprechen... Ich erinnere mich, dass in Haltern das Rockbüro seinen zwanzigsten Geburtstag feiert, am gleichen Abend, im Geiste bin ich also dabei, und auch körperlich wohl vergleichbar...
Goldsuche, sechster Tag:
Lange schlafen, die Nacht war anstrengend! Um zwei sitzen wir wieder im Bus, diesmal mit Tickets, eine Fahrt von Cabanaconde nach Arequipa kostet fünfzehn Soles. Die Holprigkeit der Strecke hat in den sechs Tagen nicht abgenommen, und auch der obligatorische Reperaturstopp findet statt. Diesmal kann der Fahrer den Schaden aber vor Ort beheben, die Fahrt kann also nach circa zwanzig Minuten weitergehen.
Um halb neun Abends kommen wir wieder im Home sweet home an, da macht das Hostel seinem Namen alle Ehre. Unser Gepäck steht wohlbehütet im Lagerraum, wir ziehen in ein neues Zimmer, noch netter als vorher. Es wurde auch Zeit, wir hatten für unsere Goldsuche nicht sechs Tage eingeplant. Zwei Unterhosen, drei Paar Socken und ein T-shirt mussten reichen, man sieht es ihnen an...
Abendessen in Arequipa, der Stadt, die wir ja nun schon kennen, Internet, TV und früh schlafen gehen.
Heute, am Montag, den 02. November legen wir einen Bürotag ein. Computerarbeit, Blog, 700 Bilder sichten und Texte schreiben, Nadège recherchiert unseren weiteren Weg. Der führt uns über den Titicacasee und Machupicchu nach Bolivien. Vielleicht finden wir ja dort das ersehnte Gold? Wir melden uns wieder...
Stefan & Nadège
Arequipa, 02. November 2009